Alexandra BerlinaJennie Seitz
Text: Alexandra BerlinaJennie SeitzSascha CharitonskiÜbersetzung: Jennie Seitz28.09.2022

Ein Kätzchen-Meme geht viral im russischsprachigen Internet. Wie kann man den Sprachwitz übersetzen?, fragte die Dozentin Irina Snamenskaja auf Facebook. In einem Post hat sich Sascha Charitonski dazu Gedanken gemacht, Jennie Seitz hat ihn ins Deutsche übersetzt. Alexandra Berlina fragt im Nachtrag: Was sind eigentlich Memes?

„verkaufe sie die fisch?“
„nein ich zeig ihn bloß“
„schön …“

Irina, mich hat Ihre Bitte, einem Ausländer das Meme mit dem Fisch zu erklären, nicht mehr losgelassen. Also habe ich mir die Mühe gemacht. Oder den Spaß, je nachdem, wie man es betrachtet.

Das erste ist der NICHT-Fischverkäufer. In der Realität wäre die Frage, ob er den Fisch verkauft, völlig fehl am Platz, denn es ist ja völlig offensichtlich, dass er ihn verkauft. In Russland ist es vollkommen normal, dass man die Ware praktisch auf dem Boden ausbreitet, wenn man keinen Tisch hat. Es gibt keine andere Interpretationsmöglichkeit, warum der Fisch auf einem Tischtuch mitten auf der Straße liegen sollte.

Die Antwort „nein, ich zeig ihn bloß“ wäre in dieser Situation immerhin möglich. Das wäre ein ironischer Hinweis auf das Offensichtliche: Klar verkaufe ich den Fisch, was soll die blöde Frage? Die meisten Russen mögen keine überflüssigen Worte und blöden Fragen.

Die Situation wird dadurch absurd, dass der Gesprächsverlauf nahelegt, der Verkäufer würde die Fische wirklich nur herzeigen. Er hat sich auf die Straße gestellt, um den Passanten Fische zu präsentieren. Das ergibt keinen Sinn und ist absurd.

Oder: Die Antwort war wirklich ironisch gemeint, aber die Katzen nehmen sie für bare Münze, als Wahrheit in letzter Instanz, als kompromisslose Realität. Die Fische werden bloß hergezeigt. Man darf sie nicht kaufen. Man darf sie nicht fressen. Und hier spitzt sich die Dramatik zu.

Mit ihrer Antwort rühren die Kätzchen den Betrachter. Sie sitzen direkt vor diesem Fisch, diesem schönen und ganz bestimmt gar köstlichen Fisch, das Wasser läuft ihnen im Munde zusammen, aber sie haben keinerlei Möglichkeit, an den Fisch ranzukommen. Und sie tun so, als wäre das völlig in Ordnung, als wären sie hier zufällig vorbeigekommen und könnten die Schönheit des Anblicks wertschätzen. Und sie sind sehr höflich. Wie Kinder. Die kein Taschengeld haben.

Ohne das jetzt groß zu erklären, kann ich nur sagen: Dieses Gefühl ist vielen Menschen in Russland sehr vertraut. Es ist ein kultureller Code.

Und das wiederum eröffnet eine weitere Interpretationsebene: Selbst wenn der Fisch zu kaufen wäre – die Kätzchen haben kein Geld.

Zu Rührung und Absurdität gesellt sich die Unerreichbarkeit des Objekts der Begierde: Der Fisch ist zum Greifen nah und doch so fern. Der Witz bekommt seine Tiefe durch den bitteren Beigeschmack, der den meisten Russen, wie gesagt, schmerzlich vertraut ist. Dostojewski , Tolstoi, Kuprin – das Meme entfaltet seine Wirkung im Kontext der großen russischen Kultur.

Die Antwort „schön“ rekurriert verschwommen an etwas, das jemand in einer Kunstausstellung sagen könnte, aber hier in Verbindung mit einem für diese Aussage völlig unpassenden Ausstellungsobjekt daherkommt, nämlich Fisch. Der Fisch wird quasi zu einem Kunstobjekt, das der Nicht-Fischverkäufer ausstellt, und das er natürlich nicht ist.

Der Glanz dieses kleinen, aber schillernden Exempels der Memologie wird vollendet durch die sprachliche Ausgestaltung:

Der falsche Gebrauch des Kasus bei „fische“ verleiht den Kätzchen Individualität und Niedlichkeit – und dem Meme Einprägsamkeit und Wiedererkennungswert.

Der unmotivierte, irritierende sächliche Genus bei „schön“ setzt der Absurdität des Ganzen schließlich die Krone auf.


Nachtrag von Alexandra Berlina: Was sind eigentlich Memes?

Im Deutschen werden inzwischen allerlei lustig beschriebene Bilder so genannt; der Duden definiert Meme als ein „(interessantes oder witziges) Bild, Video o. Ä., das in sozialen Netzwerken schnell und weit verbreitet wird“.

Im Russischen wird мем meist in einem engeren und seiner ursprünglichen Bedeutung näheren Sinn verwendet: Richard Dawkins hat das Wort meme in Anlehnung an gene entwickelt, als Bezeichnung einer kulturellen Einheit, die Mutationen unterliegt.

So sind im Russischen mit mem zwar auch vor allem witzige Bilder gemeint, jedoch zumeist solche, deren Humor durch Variation und Wiederholung entsteht. So lädt zum Beispiel das Ursprungsbild des hier diskutierten Memes – der Fischverkäufer und die Kätzchen – beim ersten Hinsehen höchstens zum dezenten Schmunzeln ein. Wenn es aber in verschiedenen Kontexten und in verschiedenen Variationen erscheint, wächst der Effekt – bis das Meme irgendwann erschöpft ist und nicht mehr wirkt. Eine Variation kann z. B. den gleichen Text mit einem anderen Bild verknüpfen:

Wie man hier sieht, kann eine solche Reaktion durchaus brisant werden – zum Glück kennt man bei Memes selten die Autor*innen, so dass man sie auch schlecht der Beleidigung der Gefühle von Gläubigen anklagen kann.

Eine Variation kann auch das gleiche Bild mit einem anderen Text benutzen; dabei kann es durchaus mal meta zugehen – wie in diesem Meme über Memes:

(Kätzchen:) Sie sprechen über die Geschichte des Memes?
(Mann:) Jja, über Füsch
(Kätzchen:) Interessant das