FAQ #5: Welche Rolle spielt eigentlich Belarus im Ukraine-Krieg?
Belarus spielt im Krieg gegen die Ukraine eine zentrale Rolle: Für Russland war es möglich, von dort aus am 24. Februar 2022 direkt die ukrainische Hauptstadt Kiew anzugreifen. Doch insgesamt wirft das Verhalten von Machthaber Alexander Lukaschenko viele Fragen auf: Warum hilft er dem russischen Präsidenten Wladimir Putin? Wie fest steht er an dessen Seite? Hat er eigene Interessen, und wenn ja, welche? Und wie stehen die Belarussinnen und Belarussen zum Krieg?
In unserem FAQ, das Stück für Stück weiter wachsen wird, sammeln wir zentrale Fragen zum Krieg und lassen sie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beantworten: FAQ #5: Welche Rolle spielt eigentlich Belarus im Krieg gegen die Ukraine?
Nach allem, was bekannt ist, steht fest: Belarussische Truppen oder Sicherheitskräfte waren und sind bisher nicht am Krieg in der Ukraine beteiligt. Belarus unterstützt Moskau aber bei der Invasion, allen voran mit seinem Territorium, das zum Durchgangshof der russischen Armee geworden ist. Dafür waren russische Truppen vor dem Krieg unter dem Vorwand gemeinsamer Militärmanöver von Russland nach Belarus verlegt worden und sind von dort aus auf Kiew vorgedrungen . Zudem deuten zahlreiche Hinweise darauf hin, dass ukrainisches Staatsgebiet von belarussischem Territorium aus beschossen wird1.
Im Laufe der ersten Kriegsmonate haben sich die russisch-militärischen Aktivitäten, die mit dem belarussischen Staatsgebiet verbunden sind, verringert, ebenso die Zahl russischer Truppen in Belarus – die weiter präsent sind. Das hing sicherlich mit dem russischen Rückzug aus dem Raum Kiew ab Ende März zusammen.
Zum Teil könnte auch weitere belarussische Infrastruktur im Krieg genutzt worden sein, zum Beispiel für die Versorgung mit Treibstoff2. Über die militärische Zusammenarbeit haben Putin und Lukaschenko bei einem Treffen außerdem erst Ende Juni erneut verhandelt.
Doch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) schätzte die Lage im April so ein, dass Belarus – auch wenn russische Truppen von dort aus agier(t)en – keine Kriegspartei sei. An den Ausgangsbedingungen zu dieser Analyse hat sich im Wesentlichen nichts geändert.
Zugleich gibt es zivile Belarussinnen und Belarussen, die sich der ukrainischen Seite angeschlossen haben. So haben sich manche Aktivisten der belarussischen Opposition bereits seit 2014 als Freiwillige bei den ukrainischen Streitkräften gemeldet3. Ihre Zahl wuchs nach Beginn der großflächigen Invasion der Ukraine weiter an. Sie durften auch eigene Einheiten in der ukrainischen Armee bilden, allerdings bleiben Truppenstärke sowie ihre genaue Funktion bislang unklar. Außerdem gab es Sabotageakte an den Eisenbahnlinien von Belarus nach Russland, mit dem proklamierten Ziel, den Transport von militärischem Gerät zu unterbinden.
Siarhei Bohdan
Politischer Analyst am Ostrogorski Centre Minsk/London
Nein, Belarus hat mit diesem Krieg nichts zu gewinnen, sondern kann sogar alles verlieren. Dafür sprechen gleich mehrere Punkte:
Die Menschen: Ein Gemetzel mit den Ukrainern, die in Belarus als Brudervolk wahrgenommen werden, ist für sich genommen, eine Tragödie – was unter Belarussinnen und Belarussen auch vielfach so gesehen wird.
Die Wirtschaft: Der Krieg bedeutet den De-facto-Verlust der Ukraine als bedeutendem Handelspartner, mit dem zuletzt auch ein stets steigendes Handelsvolumen verbunden war.
Das Verhältnis zur EU: Der Krieg verschärft für das belarussische Regime die Konfrontation mit der EU und den NATO-Mitgliedstaaten. Das Verhältnis ist seit dem Protestjahr 2020 ohnehin massiv belastet, Belarus isoliert und mit Sanktionen belegt.
Das Regime: Lukaschenko könnte sich auch in seinem Machterhalt bedroht sehen. Umfragen zufolge lehnt ein immerhin deutlich wahrnehmbarer Teil der Bevölkerung ↓ den Krieg ab, darunter auch Anhänger des Lukaschenko-Lagers. Damit wäre zumindest offen, ob ein Kriegseintritt nicht auch – trotz der harten Repressionen – neue Proteststimmung im Land befördert.
Entsprechend ließ die belarussische Führung die Nutzung des eigenen Territoriums durch Moskau für den Vorstoß auf Kiew regelrecht über sich ergehen. Experten gehen davon aus, dass Alexander Lukaschenko in die Angriffspläne nicht eingeweiht gewesen ist – auch wenn er zuvor verbal in Richtung Westen ausgeteilt hat. Soweit bekannt, hat Minsk bei den russischen Kriegsvorbereitungen selbst keinen aktiven Beitrag geleistet. Lukaschenko hat Anfang Mai zudem – für belarussische Verhältnisse auffallend – kritische Töne am Vorgehen des Kreml geäußert.
Siarhei Bohdan
Politischer Analyst am Ostrogorski Centre Minsk/London
Das hat mit drei Faktoren zu tun, die sich gegenseitig bedingen: mit der politischen Isolierung von Minsk seit dem Protestjahr 2020 , der entsprechend gewachsenen belarussischen Abhängigkeit von Moskau und den damit eröffneten Möglichkeiten für den Kreml, mehr russisches Militär nach Belarus verlegen zu können.
Um das genauer zu verstehen, ist es wichtig, sich die gesamte Entwicklung der Jahre seit Annexion der Krim vor Augen zu führen: Minsk hat seit 2014 die zweigleisige Strategie ↓ verfolgt, einerseits Verbündeter an der Seite Russlands zu sein, sich andererseits aber kritisch von der Ukraine-Politik des Kreml zu distanzieren. Damit hatte Kiew, allen Spekulationen zum Trotz, aus nördlicher Richtung kaum etwas zu befürchten. Für die Kiewer Führung war das entscheidend, weil die ukrainische Hauptstadt unweit der belarussischen Grenze liegt, das Land also von dieser Flanke sehr verletzlich ist. Sprich: Ohne diesen belarussischen Balkon war es dem Kreml bis vor kurzem nicht möglich, einen Großangriff zu wagen.
Tatsächlich war der Zugang für die russische Armee zum belarussischen Territorium bis zum Jahr 2020 sehr begrenzt. So hatte Minsk stets dafür gesorgt, gemeinsame Übungen fern der ukrainischen Grenze abzuhalten. Auch wurde die belarussische Armee wenig auf ein mögliches Zusammenwirken mit russischen Streitkräften vorbereitet: Zum Beispiel nahmen an den Manövern oft dieselben Einheiten aus Belarus teil, die überdies nur einen geringen Teil der gesamten belarussischen Armee ausmachten. Selbst die Ausrüstung der Streitkräfte beider Länder unterschied sich zunehmend voneinander.
Nach der brutalen Unterdrückung der Proteste durch das belarussische Regime im Jahr 2020 änderte sich diese Ausgangslage komplett. Das erweist sich rückblickend als Schlüsselmoment für eine geopolitische Umwälzung in der Region: Wegen der 2021 verhängten massiven westlichen Sanktionen gegen Belarus hielt sich Machthaber Alexander Lukaschenko fortan noch stärker an den Kreml. Schon zuvor war er in hohem Maße von russischen Krediten und Subventionen abhängig. Das verstärkte sich nun, so dass sein politisches Überleben mehr denn je die Rückendeckung aus Moskau braucht, während er nach innen mit immer schärferen Repressionen herrscht.
Die regelmäßige direkte Anwesenheit russischen Militärs dehnte sich in der Folge für weitere hunderte Kilometer westwärts aus. Denn schon im Herbst 2020 beeilte sich der Kreml, gemeinsame Manöver zu starten – mit bis dahin beispiellosen Truppenverschiebungen an die belarussisch-ukrainische Grenze, Luftlandeoperationen und einem in seinem Umfang ebenfalls bis dahin nicht dagewesenen Einsatz der strategischen Luftwaffe. Seither stieg die Zahl der gemeinsamen Manöver drastisch an. Damit war die Bedrohung der Ukraine entlang der belarussisch-ukrainischen Grenze seit dem Jahr 2020 kontinuierlich gewachsen. Auch eine ständige Präsenz russischer Truppen besteht inzwischen in Belarus. Im Jahr 2021 konnte Moskau zum ersten Mal den Aufbau eines russischen Militärstützpunktes durchsetzen: In der Region Grodno soll ein gemeinsames militärisches Ausbildungszentrum für Luftwaffe und -abwehr entstehen4. Zudem wurde begonnen, russische Kampfflieger auf belarussische Luftstützpunkte zu verlegen5. Ähnliche Vorstöße der russischen Seite waren zuvor jahrelang ergebnislos verlaufen.
Siarhei Bohdan
Politischer Analyst am Ostrogorski Centre Minsk/London
Еs ist schwer zu sagen, was die Belarussinnen und Belarussen über den Krieg denken. Das Land wird repressiv regiert, unabhängige Umfrage-Institute existieren, wenn überhaupt, dann nur im Exil. So gibt es nur wenige aktuelle Zahlen, die zumindest Anhaltspunkte liefern können, darunter von der Belarussischen Analysewerkstatt, die jüngsten aber vom Soziologen Ryhor Astapenia bei Chatham House. Dort gaben 40 Prozent der Befragten bei einer Online-Umfrage von Mitte April 2022 an, gegen den Krieg zu sein. 32 Prozent befürworteten den Krieg. Die Zahlen zeigen auch, dass es insgesamt eine verbreitete Angst gibt, in den Krieg mit eigenen Truppen hineingezogen zu werden.
Allerdings sind hierbei mindestens zwei Dinge zu beachten: Einerseits könnte die Zahl der Befürworter höher sein, weil die Befragungen nur online erfolgten, nicht wie sonst häufig bei solchen Erhebungen auch per Telefon. Damit zusammenhängende Verzerrungen können nicht ganz korrigiert werden. Zweitens könnte genauso die Zahl der Kriegsgegnerinnen in Wirklichkeit höher sein, sich in den Zahlen aber womöglich nicht ausdrücken: Dadurch, dass Belarus die russische Attacke mit der Überlassung des eigenen Territoriums unterstützt, könnten sich manche dazu gedrängt gefühlt haben, befürwortend zu antworten, obwohl sie eigentlich dagegen sind – aus Angst vor persönlichen Konsequenzen.
Unabhängig davon, wie belastbar diese Zahlen sind, sprechen die Handlungen einiger Belarussinnen und Belarussen für sich: Zum Kriegsausbruch gab es kleinere protestartige Menschenversammlungen6, vor der ukrainischen Botschaft in Minsk wurden Blumen abgelegt (oft gelb und blau eingewickelt). Die gelb-blaue Farbsymbolik der ukrainischen Flagge spiegelt sich auch in verwendeten Haarschleifen und Schals. Das ist in einem Land, das so autoritär regiert wird wie Belarus, schon durchaus bemerkenswert, weil die Menschen für diesen offen gezeigten Protest harte Strafen in Kauf nehmen. Auch kommt es zu Sabotageakten an den Eisenbahnlinien, die als Zeichen des Protestes gewertet werden können.
Jan Matti Dollbaum
Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen
In Belarus ist es noch möglich, Informationen zum Krieg zu erhalten, weil es im Exil unabhängige belarussische Online-Medien gibt, die darüber berichten. Das muss man mit einer Einschränkung sagen: Ihre Webseiten sind in Belarus so gut wie alle gesperrt, so dass die Leute dafür VPN-Zugänge benötigen. Was hilft, ist, dass die Inhalte auch über Plattformen wie Telegram, Youtube und Facebook verbreitet werden. Die Exil-Medien sind entstanden, nachdem die Mehrheit der unabhängigen belarussischen Journalistinnen und Journalisten nach dem Protestjahr 2020 und den darauf folgenden harten Repressionen das Land verlassen haben. Nur im Ausland ist es noch möglich, regierungskritisch sowie zu heiklen sozialen und politischen Themen zu berichten. Dazu gehört auch der russische Überfall auf die Ukraine.
Was außerdem – im Unterschied zu Russland – in Belarus noch zugänglich ist: Ukrainische Nachrichtenseiten im Internet, die über den Krieg berichten.
Bleibt also die Frage, ob die Informationen, die es gibt, Menschen in Belarus auch tatsächlich erreichen. In einer aktuellen Umfrage der Belarussischen Analysewerkstatt des Soziologen Andrej Wardomazki gaben 63 Prozent der Befragten an, sich vor allem über Telegram-Kanäle oder Youtube zu informieren. Auf beiden Plattformen dominieren unabhängige belarussische Exil-Medien als Informationsquellen, die damit eine starke Bedeutung haben.
55 Prozent der Befragten erhalten ihre Informationen vorwiegend aus dem belarussischen oder russischen Staatsfernsehen7. Blickt man auf frühere Befunde, relativieren sich diese Zahlen ein wenig, weil es nur rund 16,3 Prozent der Befragten sind, die dem belarussischen Staatsfernsehen überhaupt Vertrauen entgegenbringen8. Selbes gilt für das russische Staatsfernsehen, das für eine Mehrheit im Land noch vor fünf Jahren als vertrauenswürdige Quelle galt, sogar viel eher als das eigene Staatsfernsehen. Wie man sieht, hat sich das geändert.
Dazu muss man wissen, dass das belarussische Staatsfernsehen die Narrative des russischen Staatsfernsehens eins zu eins kopiert: Dass es in diesem Krieg darum gehe, angebl iche Nazis in der Ukraine zu bekämpfen , mit Minsk an der Seite Moskaus gegen die gesamte Welt. Diese staatliche Propaganda mag also dieselbe wie in Russland sein, doch sie trifft auf eine vollkommen andere Gesellschaft. Nämlich eine, die sich viel stärker von seiner politischen Elite abgekapselt hat als die russische. Wenn wir also über belarussische Staatspropaganda sprechen, sollte man ihre Wirkung nicht überbewerten, weil sie weit weniger bei den Menschen verfängt.
Auch wenn Machthaber Alexander Lukaschenko oft laut und markig gegen den Westen, Polen oder Litauen poltert, so ist es in diesem Zusammenhang interessant zu sehen, dass die Botschaften, die er verbreitet, trotzdem sehr viel friedvoller sind als das, was das eigene Staatsfernsehen sendet. Lukaschenko will permanent vermitteln, dass Belarus an diesem Krieg in keiner Weise beteiligt sei und versucht, den Umstand für sich zu nutzen, dass die belarussische Armee selbst nicht an der Seite Moskaus steht. Damit dürfte er sich erhoffen, bei der westlichen Staatenwelt an den Sanktionen gegen sein Land zu rütteln – bislang jedoch ohne Erfolg ↓.
Die unabhängigen belarussischen Medien nennen den Krieg dagegen einen Krieg und berichten darüber so, wie es in allen anderen Ländern mit freien Medien auch der Fall ist.
Aliaksandr Papko
Politikwissenschaftler am Think Tank EAST-Zentrum und Fernsehjournalist in Warschau
Jein. Die Russland-Politik von Machthaber Alexander Lukaschenko war stets vor allem eins: eigennützig. Daher lässt er sich nicht einfach als Marionette des russischen Präsidenten Wladimir Putin bezeichnen. Eher als Junior-Verbündeter, der sich oft loyal und ergeben zeigt, aber eigene Ziele hat. Deshalb verfolgte er lange eine Schaukelpolitik zwischen der Europäischen Union und Russland, hat dafür jedoch seit dem vergangenen Jahr den Spielraum verloren.
Schauen wir uns die Entwicklung seit Lukaschenkos Machtantritt 1994 genauer an: Ohne russische Subventionen wäre der Erfolg seines Herrschaftsmodells nicht denkbar. Mit Boris Jelzin als russischem Präsidenten hatte es Lukaschenko allerdings noch leicht, weil dieser dafür kaum Gegenleistungen erwartete. Zugleich unterstützte Lukaschenko mit seiner antiwestlichen Rhetorik die Position des Kreml während des Kosovo-Kriegs9 und in Bezug auf die Nato-Osterweiterung10.
Unter Wladimir Putin begann der Kreml allerdings, die Subventionen für Belarus erstmals mit der Erwartung zu verknüpfen, dass das Land auf einzelne nationale Hoheitsrechte verzichtet. Der noch zu Jelzins Zeiten unterzeichnete „Vertrag über die Bildung eines Unionsstaates“ zwischen Belarus und Russland entwickelte sich damit von einem Lippenbekenntnis zu einem Forderungskatalog. Lukaschenko widersetzte sich jedoch und sicherte sich die weiteren russischen Subventionen, indem er einen außenpolitischen Kurswechsel Richtung Westen androhte. Gleichzeitig gelang es ihm, substanzielle Demokratisierungsforderungen der EU und der USA – mit dem Verweis auf die Gefahr einer russischen Intervention – abzuwehren11.
Im Westen wurde diese Schaukelpolitik sehr wohl wahr-, jedoch auch in Kauf genommen. Aus westlicher Sicht zählte in erster Linie, dass Lukaschenko weder nach dem Georgienkrieg 2008 noch im Fall der Ukraine 2014 offiziell die Position des Kreml unterstützte. Damit empfahl er sich für eine Vermittlerrolle in den Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine. Das führte im Jahr 2016 sogar zur Aufhebung aller Sanktionen, die der Westen nach der Präsidentschaftswahl vom Dezember 2010 gegen Belarus verhängt hatte.
Die Massenproteste nach der Präsidentschaftswahl im August 2020 veränderten die politische Konstellation für Lukaschenko jedoch grundlegend: Erstmals verdankt er sein politisches Überleben allein Putin, zudem erkennt der Westen ihn seitdem nicht länger als Präsidenten an. Über Asylsuchende an der Grenze zwischen Belarus und Polen versuchte Lukaschenko Ende 2021 vergeblich gegenüber der Europäischen Union neue Verhandlungen zu erzwingen. Gleichzeitig bot sich Lukaschenko dem Kreml wieder als antiwestlicher Vorposten an, um dessen weitergehende Forderungen zur Bildung des Unionsstaates klein zu halten. Lukaschenkos neue Abhängigkeit zeigte sich insbesondere im massiven Ausbau der russischen Militärpräsenz in Belarus ↑.
So bietet der Krieg für Lukaschenko dieses Mal – im Unterschied zu 2014 – keine Möglichkeit, sich als Vermittler zu profilieren. Stattdessen wird er vom Westen und der Ukraine als Handlanger des Kreml wahrgenommen.
Astrid Sahm
Politikwissenschaftlerin an der Stiftung Wissenschaft und Politik
Russland führt Krieg gegen die Ukraine. dekoder stellt die wichtigsten Fragen und Antworten zusammen. Gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern geht es in diesem FAQ darum, fakten- und wissenschaftsbasiert zu erklären und einzuordnen, was man zu Putins Angriffskrieg auf die Ukraine wissen muss.
Stellen Sie uns gern auch Ihre Fragen – per Email unter dekoder-lab@dekoder.org. Wir werden versuchen, mit Expertinnen und Experten aus europäischen Universitäten Antworten darauf zu finden.
Diese Reihe entsteht in Kooperation mit dem Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) in Berlin und wird von der Alfred-Toepfer-Stiftung F.V.S. unterstützt.
Die Monitoring-Gruppe „Belaruski Hajun“ um den Aktivisten Anton Motolka trägt regelmäßig Hinweise zu russischem Raketenbeschuss von Belarus aus zusammen, ebenso zu russischen Truppenbewegungen auf dem Staatsgebiet von Belarus. Den Recherchen nach könnten es bisher mindestens 630 Raketenabschüsse gewesen sein. vgl. Berichterstattung der unabhängigen Online-Zeitung Nasha Niva Z Belarusi pa Ukraine byla zapuščanaja jak minimum 631 raketa und die Veröffentlichungen (engl.) der Gruppe auf Youtube: 631 missiles in 70 days: Timeline of the entire bombing of Ukraine from the territory of Belarus. Machthaber Alexander Lukaschenko gestand Abschüsse durch russisches Militär in den ersten Kriegswochen selbst ein, spielte die Größenordnung in seinen Verlautbarungen aber herunter, vgl. Belta: Ėto byl vynuždennyj šag. Lukašenko o zapuske raket s territorii Belarusi po pozicijam v Ukraine. Ende Juni meldeten ukrainische Behörden Einschläge von Belarus aus, vgl. zdf.de: Kiew: Moskau will Belarus in Krieg verwickeln
Von solchen Angriffen soll er selbst nur aus den Medien erfahren und von Moskau darüber nicht informiert sein, vgl. sn-plus.de: Valerij Karbalevič: Plochoj znak
Der Militärexperte Jegor Lebedok sagte in einem Interview mit Mediazona, er glaubt nicht daran, dass der Treibstoff „aus dem russischen Hinterland“ herangebracht werde. Möglich wäre, dass russische Truppen ans Pipeline-Netz angeschlossen seien oder dass sie Benzin von der Raffinerie in Mozyr erhielten. vgl. mediazona.by: «Točno možno skazatʹ, čto ėto ne konec. V ljubom rasklade, kto by ni pobedil». Egor Lebedok otvečaet na voprosy pro vojnu, kotoruju prognoziroval v intervʹju «Mediazone»
vgl. Deutsche Welle: Freiwillige aus Belarus kämpfen auf ukrainischer Seite
Größere Protestzüge waren am 27. und 28. Februar 2022 in Minsk, aber auch in zahlreichen anderen Städten des Landes auf den Straßen. Nach Medienberichten gab es dabei mehr als 1100 Festnahmen. vgl. zerkalo.io: Kak belorusy protestujut protiv vojny i kak ich za ėto presledujut Čitatʹ polnostʹju
Gefragt wurde in der Wardomazki-Umfrage nach den wichtigsten Informationsquellen (nicht nach den einzigen). Auch zwei Jahre zuvor zeigte sich, dass das Staatsfernsehen an Bedeutung verliert. Einer Erhebung des Zentrums für Osteuropa und internationale Studien (ZOiS) vom Dezember 2020 zufolge war für nur rund 10 Prozent der Menschen das Staatsfernsehen die erste Informationsquelle, für noch weniger das staatlich kontrollierte Radio oder staatsnahe Blätter. Social Media, unabhängige Online-Medien und Messenger wurden dagegen von rund 70 Prozent der Befragten als wichtigste Informationsquelle angegeben. vgl. ZoiS Report 03/2021: Belarus at a crossroads: attitudes on social and political change, S. 10
Das haben Erhebungen im Jahr 2021 von Chatham House erbracht, vgl. Chatham House: Belarusians‘ views on the political crisis. Results of a public opinion poll conducted between 14 and 20 January 2021, S. 24.
Durch Russlands Veto-Recht bei den Vereinten Nationen bleibt dem Kosovo die Mitgliedschaft dort bis heute verwehrt. Präsident Wladimir Putin zog den Kosovo in der Vergangenheit immer wieder heran, etwa um sein Vorgehen im Donbass und auf der Krim zu rechtfertigen, vgl. zum Beispiel Video #8: Putin: Kosovo als Präzedenz für Krim und Katalonien?
Nach Aufnahme der Slowakei in die Nato im März 2004 stellte es der belarussische Präsident bei einer Rede Mitte April gegen das Nato-Bündnis so dar, als würden westliche Militärs belarussisches und russisches Staatsgebiet umzingeln und antasten: „Unser Territorium ist völlig von technisch-intelligenten Mitteln ‚durchschossen‘. (…) Und nicht nur unser Territorium, sondern auch das russische bis hin zum Kreml ist damit ‘durchschossen’. Wann gab es das schon mal?“, vgl. president.gov.by: Poslanie Prezidenta Belarusi Aleksandra Lukašenko Parlamentu
Insbesondere nach dem Krieg in Georgien vom August 2008 verschärfte sich der Ton zwischen Russland und Belarus. vgl. DGAP Standpunkt (09/2010): Die Ökonomisierung russischer Außenpolitik