Alexandra Berlina über Sternchen, Hosentaschenfeigen und andere Protestformen sowie die schwierige Frage: Wie übersetzt man Zeichen und Antikriegssymbolik?
Wie die meisten Kolleg*innen hatte ich meinen ursprünglichen Beitrag zum Übersetzungsspecial vor dem Krieg geschrieben. Doch dann kam der 24. Februar, und solche Spielereien schienen auf einmal unverzeihlich müßig. Doch das menschliche Gehirn schafft es selten, ein halbes Jahr am Stück im Schockzustand zu verbringen. Meins zumindest produzierte nach den Fragen der ersten Wochen – „Wie kann das wahr sein?“, „Warum lebt Putin noch?“, „Wie kann das wahr sein?“, „Was kann ich tun?“ und vor allem „Wie kann das wahr sein?“ – bald wieder Fragen, die sich ums Übersetzen drehten.
Wenn ich deutschen Freunden von der Einstellung meiner Bekannten in Russland erzählte, zum Beispiel, fragte ich mich fast jedes Mal, wie ich denn am besten den Ausdruck figa w karmane , wörtlich „Feige in der Hosentasche“, am besten übersetzen soll. Bei der figa (Feigenhand) wird der Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt; der Verweis auf die Vulva ist dabei vielen nicht bewusst, in der russischsprachigen Welt gilt die Geste als weniger verwerflich als der Mittelfinger. Der eigentlichen Bedeutung kommt man also mit „Stinkefinger in der Hosentasche“ nahe – aber auch das erklärt noch nicht, was hier mitschwingt. „Die Faust in der Tasche ballen“ mag auf den ersten Blick wie eine Entsprechung klingen, aber auch das passt nicht ganz. Bei der Feige in der Tasche geht es nämlich nicht um akute hilflose impulsive Wut, sondern eher um eine Lebenseinstellung: Wenn du beispielsweise das Regime hasst, aber dein Leben und deine Freiheit (oder, in „vegetarischen“ Zeiten, deine Karriere) nicht riskieren willst, kannst du ein Zeichen setzen, das für dich und deine Leute klarstellt: Du bist dagegen.
Man muss schon sehr mutig sein, um in Russland offen gegen den Krieg zu protestieren. Schon ein gelbes T-Shirt mit einer Jeans kombiniert oder ein Anstecker mit Friedenstaube im Facebook-Profil reichten für eine Verhaftung. Aber es gibt kleine Gesten – Hosentaschenfeigen – die meist gutgehen. Zum Beispiel wenn ein Verlag in den ersten Kriegswochen zufällig ein Buch wie Im Westen nichts Neues besonders prominent auf seiner Homepage präsentiert. Den Staat interessiert so etwas meist nicht, Gleichgesinnte können aber sehen: Die Leute in diesem Verlag sind keine Putinisten. Aber ist das wirklich eine Art Protest und Zusammenhalt, oder nur Selbstbetrug? Wie der Rapper Oxxxymiron es in einem seiner Tracks formulierte , figa w karmane ushe stala suschonym inshirom : Die Feige in der Tasche ist inzwischen Trockenobst.
Auch politische Memes waren für viele Menschen in Russland eine Art Feige in der Tasche – inzwischen ist die Gleichschaltung aber so weit fortgeschritten, dass man durchaus im Gefängnis landen kann, wenn man ein Meme zum Thema Krieg postet. Oder auch ein Meme, das nur aus Sternchen besteht.
Das Wunderbare an Memes ist ja, wie sie Bedeutungen konzentrieren und weitertragen. Und so wurde der Meme-Slogan chui woine (wörtlich etwa „Schwanz dem Krieg“, also „Fuck war“) bekannt genug, dass er bereits in „*** *****“ zu erkennen ist. Auch von der Staatsanwaltschaft.
(Wer keinen Mat mag, kann den Slogan auch als net woine , „nein zum Krieg“, lesen.)
Ist nun die Deutung von acht Sternchen eine aktuelle Übersetzung aus dem Russischen?
*** *****!