Kriegspropaganda vs. Guerillakrieg
Zs und Vs auf Autos, Panzern und öffentlichen Plätzen – der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird auch auf Ebene der Codes, Symbole und Zeichen geführt. Doch derer bedient sich nicht nur die russische Propaganda, sondern auch die Protestbewegung in Russland. Elisabeth Bauer und Yelizaveta Landenberger mit einer Momentaufnahme dieser coded language und ausgewählten Beispielen – in Wort und Bild.
Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine wird auch als ein Krieg zwischen Codes ausgetragen: Medien, Symbole, Bilder, Zeichen – die russische Propaganda bedient sich seit dem Beginn des Überfalls verstärkt aus einem reichen Arsenal von Codes. Putin als Führerfigur wird dabei bemüht, immer wieder die russische Trikolore, und auch das orange-schwarze Georgs-Band ist im Staatsfernsehen allgegenwärtig.
Die offizielle Propaganda gibt jedoch nicht nur verstärkt die schon zuvor selbstkonstruierten Codes wieder, sie produziert auch neue. Vor allem die Vs und Zs sind seit dem 24. Februar 2022 augenfällig: Zunächst gesichtet auf der russischen Militärtechnik in der Ukraine, haben sich die Symbole schnell in das russische Alltagsgeschehen und den digitalen Raum ausgebreitet. Nicht nur in Slogans auf Postern und Bannern sind sie zu finden – inzwischen gibt es gar Süßigkeiten und Kinderspielzeug mit Z-Motiven, und an Bildungseinrichtungen werden Gruppenfotos in Z-Formationen aufgenommen.
Doch was bedeutet überhaupt dieses Z? Paradox erscheint dabei zunächst, dass diese „patriotischen“ Grundbausteine der russischen Kriegs- und Propagandamaschine aus dem lateinischen Alphabet stammen und selbst das russische Verteidigungsministerium auf seinen Social-Media-Kanälen zum Teil zu englischsprachigen Dechiffrierungen wie „For Victory“ oder „Demilitarization“ greift.
Mitunter rufen die Zs und Vs aber auch Assoziationen mit der nationalsozialistischen Swastika hervor, wie ein auf Twitter kursierender makaberer Witz illustriert, der mit der Frage beginnt, warum gerade dieser Buchstabe benutzt werde.
Über das Z kursieren viele Gerüchte, für manche Beobachter will die Propaganda Anleihen beim Symbol des Gerechtigkeitskampfes von Zorro machen, auch Parallelen zur verschwörungsideologischen QAnon-Bewegung mit ihrem mysteriösen Anführer Q werden immer wieder gezogen.
Während die russische Propaganda die eigentliche Bedeutung der beiden lateinischen Buchstaben vermutlich bewusst im Unklaren belässt, herrscht in Hinsicht der Träger dieser Symbole durchaus Klarheit: Der russische Soldat, so der Tenor der Staatspropaganda, sei ein Held und ein Ritter (russ. witjas) – er befreie die Ukraine von den Nazis.
Dass auf Seiten Russlands nachweislich auch Neonazis und verurteilte Straftäter kämpfen, das verschweigt die russische Propaganda. Für viele Ukrainer und unabhängige Stimmen aus Russland ist dies jedoch ein Grund, in den russischen Soldaten und Söldnern Orks zu sehen, nach den finsteren Erfüllungsgehilfen in Herr der Ringe. Auch der ukrainische Neologismus raschism, der sich aus russia und fascism zusammensetzt, bekommt vor diesem Hintergrund eine andere Bedeutung. Für den Osteuropahistoriker Timothy Snyder zielt der Begriff insgesamt darauf ab, die politischen Rechtfertigungen für diesen Krieg zu verhöhnen:
„“Pашизм” is a word built up from the inside, from several languages, as a complex of puns and references that reveal a bilingual society thinking out its predicament and communicating to itself. Its emergence demonstrates how a code-switching people can enrich language while making a horrific war more intelligible to themselves.“
Die Meinungen dazu, ob und wenn ja, inwiefern das heutige Russland als faschistisch bezeichnet werden kann, gehen allerdings auseinander.
Für die russische Propaganda steht jedenfalls fest, dass Faschisten die Anderen sind: Ein am 25. April über den Staatssender RIA Nowosti medienwirksam veröffentlichtes „Beweisvideo“ des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB legt Inszenierungsstrategien des Moskauer Propagandastabs frei: Das siebenminütige Video zeigt Festnahme, Spurensicherung durch den Ermittlungsausschuss und dessen „Beweisanalyse“ gegen sechs vermeintliche ukrainische Neonazis, die ein Attentat auf den Moskauer Propagandisten Wladimir Solowjow geplant haben sollen. Dieses – so die Mitteilung – soll durch den Einsatz der Beamten vereitelt worden sein.
Nicht nur die offenbar gestellte Dramaturgie der Dokumentation fällt auf, auch die betont akribische Drapierung der zusammengewürfelten Beweismittel-Assemblage: Unter den ukrainischen Pässen, T-Shirts mit Swastika-Symbol und „Antisystem Fighter“-Aufschrift, neben kultisch anmutender Hornkette mit Swastika-Anhänger, einem Hitler-Portrait, einer langhaarigen Perücke, zerlegten Handys und Pistolen finden sich auch drei DVDs des Computerspiels Sims 3. Eliot Higgins, Gründer des Investigativmediums Bellingcat, witzelte auf Twitter, dass die „Regisseure“ des Propagandastreifens das Spiel wohl mit SIM-Karten-Paketen verwechselten.
Wie zentral Propaganda und insbesondere das russische Staatsfernsehen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist, wurde deutlich, als wenige Tage nach der Einnahme Mariupols LKW mit riesigen Fernsehbildschirmen in die völlig zerstörte Stadt einfuhren. Auch diese sogenannten „mobilen Informationskomplexe“ sollten die ukrainische Bevölkerung darüber „aufklären“, dass sie unter den Nazis leiden und von den russischen Soldaten nun befreit werden.
Nicht nur die Propaganda bedient sich zeichenbasierter Kommunikation, sondern auch der Protest – innerhalb der (stark eingeschüchterten) Opposition in Russland.
Zwei neue Gesetze, die kurz nach Beginn des Angriffskriegs in Kraft getreten sind, kriminalisieren die unabhängige Kriegsberichterstattung und stellen die Verbreitung von sogenannten „Fake News über die russische Armee“ unter (willkürlich verhängte) Strafe von bis zu 15 Jahren Freiheitsentzug. So hat sich auch der zivile Protest innerhalb Russlands fast ausschließlich auf subtilere Ausdrucksformen spezialisiert. Aufgrund der repressiven Bedingungen sind russische Oppositionelle und Aktivisten, die sich der Propagandamaschine nicht passiv ergeben, sondern weiterhin aktiv entgegentreten wollen, dazu übergegangen, ihre Protestzeichen zu verschlüsseln: Sie greifen zunehmend zu subversiven Codes – eine Strategie, die für Menschen, die in der immer wieder unterdrückten Protestkultur sozialisiert wurden, nicht neu ist.
In Hinblick auf die russische Protestbewegung spricht die Moskauer Anthropologin Alexandra Archipowa von einem „Guerillakrieg“: „Die Ziele dieses Guerillakriegs sind es, die Informationsblockade zu brechen und andere Russen aus ihrer Komfortzone zu bekommen.“
Kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine begann im Runet eine neue russische Flagge zu zirkulieren, die weiß-blau-weiße Flagge des freien Russlands (der Zukunft). Der rote Streifen der russischen Fahne ist hier durch einen weißen ersetzt – das Rot als Sinnbild des blutigen Kriegs des russischen Regimes bewusst entfernt.
So wurde auch bei einer Protestaktion am Tag Russlands am 12. Juni das Rot der russischen Flagge als Blutsymbol auf einem Banner vor dem Verteidigungsministerium Russlands in Moskau verwendet. Die blauen und weißen Streifen der Flagge sind förmlich in Blut getränkt, auf dem Plakat steht auf Russisch „Heute ist nicht mein Tag [Russlands – dek]“.
Die neue russische Flagge gemahnt an die weiß-rot-weiße Flagge des belarussischen Protests und wird sowohl von der russischen Protestbewegung (im Großformat vor allem bei Protesten im Exil, im Kleinformat als Sticker und Graffiti auch in Russland zu finden) als auch von den an der ukrainischen Seite kämpfenden Russen der Legion Swoboda Rossii (Freedom Legion Russia) verwendet. Die Legion Swoboda Rossii koordiniert sich über Social Media – vor allem über den Telegram-Kanal @t.me/legionoffreedom – und versucht, den Vs und Zs im öffentlichen Raum mit Flyern, Stickern und Graffitis das offizielle Symbol der Legion L sowie eine „neue“ russische Flagge entgegenzusetzen.
Eine symbolträchtige, unfreiwillige Verkehrung des russischen Propaganda-Codes war rund zwei Monate nach Kriegsbeginn bei Z-Stickern der Verwaltung der Twer-Region zu beobachten: Die Aufkleber mit der Aufschrift Für Russland! Für den Sieg in den Farben russischer Trikolore sind verblichen nachdem sie einige Zeit der Witterung ausgesetzt waren – und verwandelten sich so ausgerechnet in gelb-blaue, ukrainische „Gegenzeichen“.
Versuche, die Zensur zu umgehen, verdeutlichen die massive Repression des Staatsapparats: Selbst wegen selbstgeschriebener Plakate, die die acht Buchstaben der Losung Net woine (Nein zum Krieg) durch acht Sternchen ersetzen, oder wegen des Hochhaltens von Tolstois Krieg und Frieden vor dem Denkmal der Heldenstadt Kyjiw in Moskau, wurden Menschen festgenommen. Im Oktober 2022 sorgte der unerwartete Freispruch der wegen Diskreditierung der russischen Armee angeklagten Alissa Klimentowa für die Popularisierung eines Fisches als Protestsymbol: Sie hatte vor Gericht erklärt, mit ihrer Aufschrift „net w***e“ gar nicht „Nein zum Krieg“, sondern „Nein zur Wobla“, einer Fischart, zu meinen.
Der russische Protest greift außerdem zu weiteren kreativen Mitteln: In sozialen Netzwerken wurde etwa der Aufruf verbreitet, Rubel-Scheine mit Botschaften gegen den Krieg zu versehen und sie in Einzahlungsautomaten einzuspeisen beziehungsweise direkt in Umlauf zu bringen – so sollen Antikriegs-Botschaften in möglichst viele Hände gelangen. Diese Methode ist nicht neu, sondern wurde bereits etwa bei Protesten in Turkmenistan und im Iran verwendet.
Mitglieder und Unterstützer der Legion Swoboda Rossii verbreiten auf Geldscheinen nicht nur Antikriegs-Slogans, sondern auch die neue russische Flagge oder das L-Symbol, das sie den Vs und Zs entgegenstellen.
Die Künstlerin Alexandra Skotschilenko hat in Supermärkten Preisschilder mit Antikriegs-Slogans ersetzt – und kam in U-Haft, ihr drohen über den neuen Paragraphen 207.3 im Strafgesetzbuch zu „Fake News über die russische Armee“ bis zu zehn Jahre Gefängnis.
Eine ebenfalls unkonventionelle und kreative Form des Protests stellen die Performances der 2017 gegründeten Künstlergruppe Partija Mjortwych (oder Party of the Dead) dar, die sich als politische Partei zur Repräsentation der Interessen von Toten inszeniert. Ehemals mit Zentren in Sankt Petersburg und in Sibirien aktiv, sind nun die meisten Mitglieder im Exil, Splittergruppen gibt es aber in verschiedenen russischen Städten. Bei den Aktionen der Gruppe im öffentlichen Raum verkleiden sich die Künstler als Tote und halten Plakate mit Slogans hoch. Die Künstlergruppe veranstaltet auch in Russland regelmäßig Antikriegs-Aktionen, so beispielsweise eine auf den Namen für Leichentransporte (Grus 200) anspielende Aktion „z200“ am 7. März 2022.
Auch der Protest gegen die sogenannte „Teilmobilmachung“, die Putin am 21. September in einer TV-Ansprache verkündete, drückt sich mitunter in Zeichen aus: Im Runet wie in ukrainischen sozialen Netzwerken hat sich durch den Austausch eines Buchstabens des russischen bzw. ukrainischen Wortes „mobilisazija“ (dt. Mobilmachung) das Wortspiel „mogilisazija“ etabliert (von russ. mogila, „Grab“; dt. in etwa Grab-machung“) – eine Anspielung auf den Umgang des russischen Regimes mit der eigenen Bevölkerung, die als Kanonenfutter an die Front geschickt wird.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky streute in seiner Ansprache an die russische Bevölkerung vom 24. September den Begriff mogilisazija ein: „Die von Russland ausgerufene Mobilmachung wurde nicht umsonst sofort von den eigenen Bürgern als mogilisazija bezeichnet. Den russischen Kommandeuren sind die Leben der Russen egal – sie müssen einfach die leeren Plätze jener russischen Soldaten füllen, die gefallen, verletzt, desertiert sind oder sich in Gefangenschaft befinden.“