„Russisches Kriegsschiff – fick dich!“
Die Kriegsfront hat sich auch in die Welt der Zeichen und Symbole verlagert – in Russland wie in der Ukraine. Elisabeth Bauer und Yelizaveta Landenberger stellen Symbole, Zeichen und Begriffe der ukrainischen Subversion und Gegenwehr vor.
Kurz nach Beginn der Kriegseskalation begannen der Twitter-Account des ukrainischen Verteidigungsministeriums, ukrainische Medien und Instagram-User, „Putin“ und „Russland“ klein zu schreiben: Die bewusste Missachtung der grammatikalischen Norm avancierte zu einem subtilen Kampfmittel gegen den russischen Machtanspruch: Die Kleinschreibungen unterlaufen den eingespielten russischen Propaganda-Apparat durch einen Akt symbolischer Er-niedrigung.
Die Kriegsfront hat sich einmal mehr in die virtuelle Welt der Zeichen – der coded language – verlagert. Manchmal werden die Lettern bis in die Unkenntlichkeit verzerrt, etwa in einem Meme des (inzwischen gelöschten) Instagram-Accounts @recrutessa, in dem es auf Ukrainisch heißt: „Hier habt ihr das kleine ‘r’, damit ihr ‘russland’ mit noch kleineren Lettern schreiben könnt“ – das „r“ zusammengeschrumpft auf eine lächerliche Kleinigkeit.1
Auch für das Auftauchen des Zs als Mittel der russischen Kriegspropaganda sowie für die zynische Rhetorik von „Befreiung“ als Rechtfertigung für Krieg und Massenmord hat das Ukrainische bereits ein Wort gefunden: Der Begriff „Zombifizierung“ (sombuvannja) stellt dem russischen Z eine subversive ukrainische Interpretation entgegen.
Mit Hashtags versehene Parolen wie #standwithukraine oder #russiaisaterroriststate finden auf Social Media breite Verwendung, um sich entweder mit der Ukraine zu solidarisieren – oder von der internationalen Gemeinschaft einzufordern, politisch Verantwortung zu übernehmen und sich dem ukrainischen Widerstand anzuschließen.
Die Missachtung orthographischer Normen – das kleine p oder r – fällt auf und sticht aus dem Textbild hervor: putin huilo! – putin ist ein Pimmel! Oder: Ukraina – ne rossija! – Die Ukraine ist nicht russland! Sie zielt auf eine Entzauberung des russischen Siegesmythos. Die russisch-propagandistische Überfrachtung mit Bedeutungen, die jedoch eine Aushöhlung der Begriffe bewirkt, wird besonders anschaulich durch ein Meme verbildlicht, das Mitte März durch diverse Twitter– und Instagram-Kanäle geisterte: Putin entpuppt sich beim Versuch, einen Luftballon in Gelb-Blau mit einer Nadel zu zerstechen, selbst als Ballon – und zerplatzt.
Gezielte Mythologisierungen, oftmals im Meme-Format, spielen generell eine wichtige Rolle im ukrainischen Protestdiskurs. Eine beliebte Meme-Quelle ist beispielsweise der Instagram-Kanal @ukrainciaga.international, der sich nicht selten eines zynischen und polemisierenden Galgenhumors bedient, um paradoxerweise – trotz des Krieges oder auch: dem Krieg zum Trotz – positive Stimmung zu erzeugen. Das verdeutlicht bereits die Profilbeschreibung vom Anfang der russischen Invasion: „𝐋𝐢𝐯𝐞 𝐅𝐫𝐨𝐦 𝐔𝐤𝐫𝐚𝐢𝐧𝐞 / 𝐀𝐧𝐝 𝐒𝐭𝐢𝐥𝐥 𝐀𝐥𝐢𝐯𝐞 / 𝐊𝐲𝐢𝐯 𝐈𝐬 𝐓𝐡𝐞 𝐂𝐚𝐩𝐢𝐭𝐚𝐥 𝐎𝐟 𝐆𝐫𝐞𝐚𝐭 𝐅𝐫𝐞𝐞𝐝𝐨𝐦“ oder auch die aktuelle: „a brutalist digital museum of ukrainian resistance“. In diesem Video von @ukrainciaga.international stolziert eine Katze, gekleidet in einen blau-gelben Umhang mit Trysub-Motiv (Erläuterungen dazu s. unten) zum Kultsong Dobroho vetschora, my s Ukrajiny (dt. Guten Abend, wir sind aus der Ukraine) der Gruppe PROBASS ∆ HARDI.2 Der Song wird in der Meme-Beschreibung mit Dobroho vechora, my Zookraine! ironisch aufgegriffen: „Guten Abend, wir sind Zookraine“ – ein Wortspiel, denn das letzte Wort ist ähnlich klingend zum Ukrainischen „s Ukrayiny“ und erhält so noch eine für die Meme-Kultur charakteristische tierbezogene Bedeutungsebene.
Katzen sind im Allgemeinen in der ukrainischen Meme-Kultur weit verbreitet – davon zeugen Kanäle wie @ukrainianwarcats. Aber auch Hunde erfreuen sich großer Beliebtheit. So wurde der Jack Russell Terrier Patron, der als Minenspürhund im Einsatz war, zu einem regelrechten Social-Media-Star. Die in Memes im Allgemeinen beliebte Hunderasse Shiba Inu erfährt im ukrainischen Kontext eine Transformation zur Galionsfigur der sogenannten NAFO – kurz für North Atlantic Fellas Organization – eine ironische Referenz auf die NATO und die spielerische Selbstbezeichnung von Aktivist:innen an der „digitalen Front“ im hybriden Krieg gegen die russische Desinformation.
Wenige Tage nach Ausweitung des Krieges verbreiteten sich in Social Media Aufnahmen von Graffiti, Straßenschildern und anderen Medien, die – mit Botschaften an die russischen Soldaten versehen – als Mittel des Widerstands genutzt wurden. In den teils kodierten, teils eindeutigen Parolen wird bei der Wortwahl kreativer Gebrauch von russischer oder ukrainischer Slang- bzw. Vulgärsprache (Mat) gemacht.
Eine andere Kategorie bilden Eingriffe in die Ortsnamen auf Straßenschildern, die verzerrt, durchlöchert, entfernt oder umgeschrieben werden. Besondere Berühmtheit erlangte ein von Ukravtodor, dem ukrainischen Äquivalent zum Verkehrsministerium, entworfenes Schild, das an zahlreichen Orten aufgestellt wurde. Das legendäre Motiv wurde schnell zu einem Meme und auch zum beliebten Motiv auf Straßenschildern und Protestplakaten. Dabei sollen solche Schilder nicht nur provozieren, sondern tatsächlich für Orientierungslosigkeit sorgen. Sowohl Ukravtodor als auch ukrainische Bürger:innen übermalten bzw. ersetzten hierfür vielerorts Straßenschilder.
Der Ausspruch „Russisches Kriegsschiff, fick dich“ wurde ebenfalls zu einem Meme – er datiert auf den 25. Februar, den zweiten Kriegstag zurück: Ein auf der militärstrategisch wichtigen Schlangeninsel im Schwarzen Meer stationierter Soldat richtete diese Worte an das russische Kriegsschiff Moskwa, bevor es zum Angriff überging und die Insel schließlich besetzte. Dieser universell anwendbare Slogan – ganz Russland als Kriegsschiff – wird seitdem häufig in der Antikriegsbewegung benutzt und zählt zu den am meisten verbreiteten ukrainischen Slogans im russischen Angriffskrieg.
Zu einem Meme wurde auch die digital erstellte Drohnenshow in direkter Umgebung des Kyjiwer Wahrzeichens der Mutter-Heimat-Statue (Rodina Mat). Die Abbildung vereint den populären Slogan, das Wahrzeichen und den Symbolcharakter von (kommerziell erhältlichen) Drohnen, die in der ukrainischen Kriegsführung eine wichtige Rolle spielen. Besonderen Symbolcharakter erlangte vor diesem Hintergrund die türkische Kampfdrohne Bayraktar TB2. Im Netz finden sich wohl hunderte Clips mit Abschüssen russischer Militärtechnik mithilfe dieser Waffe: Bayraktar wird besungen, ein Remix des Songs hat auf YouTube über zweieinhalb Millionen Klicks.
Nicht nur Bayraktar, auch andere Waffen erreichen in der Ukraine inzwischen Kultstatus: Das Artilleriesystem Himars etwa oder die Panzerabwehrrakete Javelin – ohne all die aus dem Westen gelieferten Waffen hätte die ukrainische Armee wohl nicht so erfolgreich der russischen trotzen können.
Auch das berühmte ukrainisch-sowjetische Frachtflugzeug Mrija (Ukr. Traum), das kurz nach Beginn des umfassenden Angriffskriegs in Hostomel zerstört wurde, ist zu einem ukrainischen Symbol geworden – bunte Straßengemälde, ein Denkmal im Ort und Postkartenmotive sollen daran erinnern, dass der ukrainische „Traum” trotz anhaltender russischer Aggression unzerstörbar ist.
Als internationale Unterstützung der Ukraine versteht sich die Initiative Saint Javelin des ehemaligen polnisch-ukrainisch-kanadischen Journalisten Christian Borys, der früher als Kriegsreporter aus der Ostukraine berichtete. Dieser startete am 16. Februar eine Spendeninitiative mit dem Verkauf von Stickern, Shirts und anderen Fanartikeln mit dem markanten Saint-Javelin-Meme: Eine Maria, die als Schutzheilige der Ukraine einen Raketenwerfer in der Hand hält.
Inzwischen ist der Trysub (dt. Dreizack) – seit dem 10. Jahrhundert, der Zeit der Kyjiwer Rus, fand er als Ahnenzeichen der damals herrschenden Rurikiden-Dynastie Verwendung – zu einem wandlungsfähigen, kämpferischen Widerstandssymbol mit Meme-Potenzial geworden. Vorgänger des Wappenzeichens war das Symbol der Ukrainischen Volksrepublik (1918–1921), bevor es in der Sowjetunion verboten wurde. 1992 wurde es von der Werchowna Rada zum Staatsemblem ernannt und ziert mittlerweile neben Flaggen, Münzen und Geldscheinen auch die Präsidentenstandarte. Angesichts der andauernden russischen Aggression ist seit einigen Jahren ein verstärkter (Rück-)Bezug auf ukrainische Nationalsymbole bemerkbar: Seit der umfassenden Invasion am 24. Februar wurde der Dreizack zu einem in die virtuelle Sprache der zeitgenössischen Popkultur übersetzten Identifikationssymbol – für den geschlossenen Kampf gegen den Feind. So wurde das Wappenzeichen vor allem in sozialen Netzwerken nicht nur vielfach zitiert und medienwirksam geteilt, sondern auch produktiv und teils künstlerisch neuinterpretiert. Ein Instagram-Account archiviert die verschiedenen Trysub-Variationen, die Zürcher Typografie-Plattform Source Type hat die formale Genese und Bedeutung des Zeichens untersucht. Die Variationen reichen von grell animierten Videos (etwa vom offiziellen „Tourismus”-Account der Ukraine) über Tattoo-Motive bis hin zu räumlichen Formationen.
Die gigantische Mutter-Heimat-Statue, Wahrzeichen und Aushängeschild der Stadt Kyjiw, ist seit der Invasion vielfach als Symbol und Verkörperung des militärischen Widerstands der Ukraine zitiert und re-kontextualisiert worden. Nicht erst durch die Dimension des russischen Angriffskriegs hat sich ihre Bedeutung als Symbol für den Sieg der sowjetischen Armee über den deutschen Faschismus gewandelt; die Frage nach dem Umgang mit dem sowjetischen Erbe der 62 Meter hohen Siegesstatue steht bereits seit vielen Jahren zur Debatte. Am Tag des 23. August 2020, dem 30. Tag der ukrainischen Staatsflagge, wurde ihr die größte blau-gelbe Flagge des Landes (16/24 Meter) an einer 90 Meter hohen, mit ukrainischem Trysub abgeschlossenen Stele nebenangestellt. Im März 2022 wurde das die sowjetische Figur überragende Flaggensymbol mit Klitschkos Kommentar, dass die Hauptstadt auch im Kriegszustand um „den Zustand und äußeren Anblick der größten, wichtigsten Flagge des Landes” bemüht sei, erneuert. „Das ist wichtig, denn die Staatsflagge ist das Symbol unserer Unabhängigkeit und Freiheit.” Mit dieser Umwertung des sowjetischen Denkmalkomplexes nicht genug: Im Juli sprachen sich 85 Prozent von rund 800 Tausend Online-Stimmen öffentlich für den Austausch des sowjetischen Hammer-Sichel-Symbols gegen ein Trysub-Zeichen auf dem Schutzschild der Siegesstatue aus – die Realisierung dieses Vorhabens soll sich bis 2023 hinziehen. Vor allem an ein virtuelles Publikum richten sich die digitalen Neuinterpretationen und Animationen der martialischen Frauenfigur, die unter anderem auf Instagram geteilt werden – gerade im aktuellen Kriegskontext.
Auf dem Schewchenko-Boulevard im Zentrum Kyjiws wurde Anfang Mai eine vier Meter hohe Skulptur des Charkiwer Künstlers Dmitrij Iv, die Putins Kopf mit einer in seinen Mund gerichteten Pistole zeigt, eröffnet: Die temporäre Installation Erschieß’ dich (Zастрелись) wird untertitelt mit der Frage: „Putler, ist der Hinweis klar?“ und spielt auf den häufig gezogenen Hitler-Putin-Vergleich an. Auch das lateinische Z (statt der kyrillischen Letter З) als Anfangsbuchstabe des russischen Wortes Zастрелись weist auf die russische Z-Symbolik hin – und zieht damit eine Parallele zwischen putinschem und NS-Faschismus mit seinem zentralen Swastika-Emblem. Dmitrij Ivs Putin-Skulptur wurde an einem Ort aufgestellt, an dem zuvor eine Leninstatue stand – die Maidan-Anhänger:innen 2013 demontierten. Ihr leerer Sockel war in den letzten Jahren mehrfach zu einem Ort künstlerischer Interventionen geworden. Die Skulptur sei sein „harter Blick“ auf die Geschehnisse in seinem Land, sagte Iv dem ukrainischen Internetmedium Segodnja. Putin habe genau zwei M öglichkeiten: sich auf die Anklagebank zu setzen – oder sich zu erschießen. „Ich habe ein Prinzip: Wenn es etwas zu sagen gibt, dann muss man schreien. Das ist genau so ein Fall“, so der Bildhauer, der im westukrainischen Lwiw eineinhalb Monate täglich zehn bis zwölf Stunden an seiner Skulptur gearbeitet hatte – finanziell unterstützt von Freiwilligen vor Ort.
Gute Indikatoren für in der Ukraine beliebte Widerstandssymbole sind stets die Briefmarken-Editionen der ukrainischen Nationalpost Ukrposhta. Die erste Edition im Kontext des umfassenden Krieges war das Ergebnis eines am 1. März 2022 ausgerufenen Wettbewerbs, bei dem es darum ging, eine Briefmarke zum Thema „Russisches Kriegsschiff, f*ck dich“ zu gestalten – der Sieger wurde durch eine Instagram-Abstimmung bestimmt. Aufgrund der großen Popularität dieser Aktion und des Motivs fand letzteres schnell nicht nur als Briefmarke, sondern auch auf T-Shirts, Stickern und anderen Merch-Artikeln als omnipräsentes Symbol mit fast schon mythologischen Zügen Eingang in die ukrainische Alltagswelt. Seitdem folgten zahlreiche weitere Editionen, beispielsweise mit dem Minenspürhund Patron, einem Traktor, der einen russischen Panzer abtransportiert als motivische Helden. Anlässlich der Befreiung Chersons wurde eine Wassermelonen-Edition herausgebracht: Denn die in der gesamten Ukraine bekannte, in der Chersoner Region angebaute Wassermelone ist zu einem verbreiteten Hoffnungssymbol im Zusammenhang mit dem Fortschritt der ukrainischen Gegenoffensive geworden.
Der Osteuropahistoriker Timothy Snyder sieht einen Grund dafür, dass Ukrainer:innen auch oder gerade jetzt während des Krieges Kreativität und Anpassungsfähigkeit auf Ebene der Sprache beweisen, in der Bilingualität der ukrainischen Nation. Immerhin, so schreibt er in der New York Times, wechselten sie ohne Anstrengung zwischen dem Ukrainischen und Russischen – manchmal mitten im Satz – nicht nur, wenn sich Umstände veränderten, sondern auch gezielt, um Situationen zu verändern.
Die Nationalfarben Blau und Gelb selbst haben ebenfalls Symbolcharakter und werden im Allgemeinen als gelbe Weizen- bzw. Sonnenblumenfelder und blauer Himmel gedeutet – und auch Weizenähren sind neben Sonnenblumen ein weiteres beliebtes Nationalsymbol.